4
Nov
2007

Bewerbungen

Als ich gestern mein Büroregal aufräumte, weil das Bewerbungsfach aus allen Nähten quoll, gärte schon ein Text in mir. Die heute erhaltene Mail lässt ihn ins Netz überschwappen.
Ein junges Mädchen bewarb sich. Sie konnte schon eine ganze Menge. Singen, tanzen, Klavier spielen. Auch wenn sie das auf Privatschulen gelernt hatte, was für eine künstlerische Ausbildung nicht gerade eine Empfehlung ist. Wer die brutale Auslese der staatlichen Schulen passiert hat, hat automatisch eine Empfehlung. Ich las den Text (keine Schreibfehler, gute Ausdrucksweise, das ist schon mal eine ganze Menge), dachte oho, die ist ehrgeizig und rührig. Allerdings nicht ganz mein Ressort, zu tanzfixiert, die Leute sind für Schauspielerei oft nicht locker genug. Versuchte, mir ein Gesicht vorzustellen und klickte eine Bilddatei an. Ein Schwarzweiß-Foto, ein großer, schlanker, altmodisch geschminkter Engel mit einem makellosen Körper, lange blonde Locken auf nackten Schultern. Sie trug einen Spitzenbody und saß mit gespreizten Beinen auf einem umgedrehten Stuhl. Das geht ja mal gar nicht, dachte ich. Über den nackten Bewerber mit der E-Gitarre vorm Gemächt hatten wir vor einigen Jahren tagelang gelacht. Mehr aber auch nicht.
Ich sah mir die anderen Fotos an. Gleicher Fotograf, gleicher Stil. Nur im Shirt, lange nackte Beine, makellos. In Jeans, das Hemdchen kokett gelüpft. Dazu der Kopf immer schräg gelegt, der Mund halb offen. Ein penetranter givemeafacefuckplease-Gesichtsausdruck, der so gar nicht mit dem Text zusammenging. War sie nur schlecht beraten? Das kann passieren, wenn man 20 ist. Oder reicht ihre mimische Ausdruckspalette nur bis zum dümmlichen Bunny?
Schauspielerei ist ein Lustberuf, auch wenn er hart ist und viel Mühe macht. Die Gesellschaft übernimmt für diesen wie auch für andere künstlerische Berufe keine Verpflichtung zur Ernährung. Wer das will, muß sich des Risikos und des Drucks der Konkurrenz bewusst sein. Über all dem steht ein Schild "Eltern haften für ihre Kinder".
Die Bewerbungen, die ich bekomme, sagen viel über die Träume und Wunschvorstellungen der Bewerber aus, weniger über ihr tatsächliches Potential. Das muß ich herausfinden. Anhand der Biografie - was hat wann stattgefunden oder auch nicht? Anhand minimaler Differenzen auf Fotos. Anhand der Präsentation.
Da ist der Stuntman, der eine laminierte Mappe abliefert: Er mit Knarre und Anzug, er mit Zigarre, er mit Weib im Arm, der meint, das was die können, die er doubelt, kann er auch. Der grauhaarige Dressman mit dem jugendlichen Gesicht, der endlich gern mehr als Versicherungswerbespots drehen will. Die sechzehnjährige, kacknaive Göre aus der sächsischen Provinz, schwarzgefärbtes Haar, zwei Zentimeter straßenköterblond nachgewachsen, ein
lustiges Pummelchengesicht mit smokey eyes, das versucht, wie ein Vamp zu kucken und eher wie die Schwester von Ronald McDonald aussieht. Der schwule Musicaltänzer mit dem existenzialistischen Gesichtsausdruck, dem auch der Vollbart, den er neuerdings trägt, nicht zu den harten Männerrollen verhelfen wird. Castingsshow-Nomaden, die sich nach dreimaligem Mitwirken in Reality-Formaten, die am Vorabend auf SAT1 laufen, Schauspieler nennen und nach Hollywood wollen, dabei sind und bleiben sie ewig die zu stark gebräunten Diskothekengänger aus Wanne-Eickel.
Dann das Heer der frustrierten Theaterangestellten. Vorzeitig gealterte Frauen, die mir in Briefen erklären, dass sie in Stendhal noch im Altersfach Pippi Langstrumpf spielen. Männer mit Trinkertränensäcken. Verfettete Synchronsprecher. Hässliche Synchronsprecherinnen. Es gibt aber auch sehr viele Leute, bei denen ich sage: ja, interessant, professionell, gut, ich wünsch euch viel Glück, denn von euch gibt es da draußen eine ganze Menge und bei mir ist im Jahr Platz für höchstens einen oder eine. Oder wir tun uns tatsächlich zusammen und gehen ein Stück des
Weges miteinander. Bei manchen sind viele Jahre daraus geworden. Die Chemie stimmt, man hat gute und schlechte Zeiten miteinander erlebt, aber meistens hat uns ein erträglicher Erfolg Recht gegeben. Manchmal tritt man sich auch gegenseitig in den Hintern, um nicht abzuschlaffen.
Und manchmal begegnet man ihnen. Den unentdeckten Schätzen, die nur vom Staub befreit und vorgezeigt werden müssen. Oder den kommenden Talenten, die sich oft überhaupt nicht ihre Potentials bewusst sind. Die das tun, was sie tun müssen und durch ihre Karriere gehen wie ein Messer durch Butter. Denen ich eigentlich nur dienen kann und bei denen ich darauf achte, dass sie nicht zu gestürzten Engeln werden. Das sind dann meine Sternstunden, die erlebe ich vielleicht einmal in drei oder vier Jahren.
Ich bin mir gar nicht sicher, ob man für diesen Beruf tatsächlich eine schonungslose Selbsteinschätzung braucht. Sie erleichtert natürlich manches. Nichts ist grotesker als der nun in die Jahre gekommene Typ "pedantischer Buchhalter mit Sinn fürs Feingeistige", der sich ausgiebig bei mir ausbreitet, dass es langsam Zeit würde für die großen Liebhaberrollen und der damit natürlich auch ernst genommen werden möchte. Da möchte ich
manchmal gern Heinrich Böll zitieren, aus den "Ansichten eines Clowns": Sagen Sie nichts. Als Musicalclown in der Provinz bringe ich Sie vielleicht noch unter.
Mir scheint, Kunst braucht das Heer der Narzisten, Fehlgeleiteten, Besessenen, Minderbegabten, Gefälligen, Verkannten, Halbtalentierten. Warum, weiß ich nicht. Aber Hollywood wäre nicht Hollywood ohne die rasend attraktiven Bedienungen in den Schnellrestaurants, die allesamt Schauspieler sind, die auf ihre große Stunde warten.

Grrrr

Mir passiert es leider zu oft, daß ich beim Artikelschreiben oder Kommentieren mit dem Finger das Touchpad entlangschleife, was dazu führt, daß der Browser auf die vorhergehende Seite spingt. Der geschriebene Text ist natürlich weg. Zwischenspeichern ist auch umständlich. MoBlog hat mir so viel blödsinnige HTML-Codes eingebracht, daß ich es auch lasse.
Gibt es einen externen Editor für Blogs? Oder läßt sich diese Funktion auf dem Touchpad irgendwie ausschalten?

Touché

Paulo Coelho: Die Hexe von Portobello (Deutsch von Maralde Meyer-Minnemann, ...)
Eine rumänische Zigeunertochter, die von libanesischen Christen adoptiert wird, in Beirut eine idyllische Kindheit verbringt, dann vom Bürgerkrieg nach London vertrieben wird, wo sie mit 19 Jahren einen Sohn zur Welt bringt, ehe sie in Dubai als Immobilienmaklerin viel Geld verdient, was ihr ermöglicht, in Transsilvanien auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter zu gehen: Wie diese Geschichte beweist, ist esoterischer Stuß ein globales Phänomen. Paulo Coelho erzählt jede Menge Spökes über Mütter, Götter und Muttergöttinnen - zum Mitmenstruieren.
Denis Scheck im heutigen Tagesspiegel - man beachte übrigens auch den Namen der Übersetzerin. Ob das ein Pseudonym ist?

Coelho hat mich dazu gebracht, zum ersten und einzigen Mal vor einer guten Freudin die Contenance zu verlieren. Sie schenkte mit Elf Minuten zum vierzigsten Geburtstag und verband das mit dem Hinweis, das sei für Frauen ein "unheimlich wichtiges Buch". Was ich bald darauf, nach ein paar Gläsern Rotwein, um diesen Schwachsinn in zwei Buchdeckeln verdauen zu können, mit dem lautstarken Hinweis kontern mußte, sie solle sich dich bitte lieber endlich mal richtig f... lassen, statt über einem Buch über eine gef... Frau in Tränen auszubrechen.
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Deshalb. Letzter Abschnitt.
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Es ist vollbracht
Kitty und ihr Tagebuch sind wieder an die alte Adresse...
Kitty (importiert durch kittykoma) - 18. Okt, 16:03
wieder einmal bestätigt...
wieder einmal bestätigt sich, dass sport eben doch...
Huehnerschreck - 6. Apr, 10:21
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muß sein. 2007: angebrochene Rippe im Wanderurlaub. 2008:...
kittykoma - 4. Apr, 20:44
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Ich will auch einen Staubsauger mit dem die Hausarbeit...
Steffi (Gast) - 8. Mai, 06:45
Saure Eier
Bei uns gehen Saure Eier etwas anders. Mit Butter in...
Schwaka (Gast) - 17. Feb, 14:20
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