10
Okt
2008

Kitty aufm Popkonzert oder Ersties raus!

Das Kind hat mir vor Monaten schon eine wunderbares Geschenk gemacht, Konzertkarten für Calexico.
So stiefelte ich denn gestern Richtung Columbiahalle, holte mir einen Drink im Plastikbecher und harrte der Dinge, die da kommen sollen.
Die Begleitung stand im Stau und kam später und ich schlug die Zeit tot. Beobachtete die anderen Konzertgänger: alles da, vom Studienrat, über die Tangotänzerin in den besten Jahren mit zu rotem Lippenstift bis hin zu jeder Menge Jungvolk, nicht die Trainingsjackenträger mit den Koteletten, aber jede Menge bunte Motto-T-Shirts, zaghafte Vollbärte und schwarze Kassengestelle waren unterwegs.
Nachdem eine Stunde nichts passierte, ich aß inzwischen eine Bratwurst, kam eine Lady im Morgaine-Outfit mit E-Gitarre auf die Bühne. Sie begann zu singen, so wie sich die Cranberrries an den schlechteren Tagen anhören und wenn sie nicht sang, haute sie Death-Metal-mäßige Gitarrenbretter in den Raum. Nicht schlecht, aber auch ein bißchen schräg, vor allem erzählte sie zwischen den Songs immer wieder, wie schrecklich aufgeregt sie sei.
Ich dachte so bei mir, aha, das ist also die Vorband und wartete. Nach einer weiteren Stunde füllte sich die Bühne. Blasinstrumente. Oh, aha, die Herren reisen mit Mariachi? Wie Mexikaner sahen sie allerdings nicht aus. Es war waren Boban i Marko Markovic, eine Gipsy-Brass-Kapelle. Die Jungs fingen mit richtig viel Schmackes an zu spielen und die bunten Motto-T-Shirts gingen dazu ab. Neben mir hatte sich während der Wartezeit so ein Grüppchen aufgebaut. Ein dünnes blondes Mädchen, das mir ganz aufgeregt auf den Füßen herumhibbelte und den spitzen Ellbogen in die Rippen rammte. Ein Pärchen, von dem man nicht viel sah, weil sie ständig knutschten und ein Bierholer mit knatschgrünem Shirt, rotem Vollbart und - Kassenbrille. "Ey hier sind echt nur Idioten im Saal!", schrie er dem bloden Mädchen zu und "Ich glaub wirklich, ich bin der Lockerste in unserer WG!", hinterher sah er sie beifallheischend an. Aber Blondie war viel zu aufgeregt, um überhaupt zu reagieren.
Erstsemester. Kommen aus der Provinz und kennen die Berliner Clubs noch nicht. Calexico? Da war doch die Werbung auf Radio1, das ist doch so was Weltmusikmäßiges, da hat doch Mutti mal davon geredet. Und Calexico das ist also so ein Balkanbeat? Wußt ich garnicht, daß Mutti so coole Musik hört. Sie freuten sich, sprangen und wedelten mit den Armen. Der Vollbart im grünen Shirt war sehr bemüht, sich in der Nähe der aufgeregten Blonden aufzuhalten.
Ich amüsierte mich weniger. Die Musik der sozialistischen Bruderländer war allenthalben Ersatz für kapitalistische Westmusik. Ich kannte alle Titel, jeder russische Dorfbums lebte früher von drei Trompeten und einer Trommel und jedes rumänische oder bulgarische Urlaubsradio spielte Gipsy-Brass als Abwechslung zu inländischen Schlagern. Für mich fehlte der Reiz der Exotik. Ich fand es anarchisch, fröhlich, virtuos, aber das sind die Zillertaler Schürzenjäger, so rein kulturkritisch betrachtet, auch.
Also stand ich spaßbremsenmäßig mit verschränkten Armen herum und wenn ich hibbelte, dann nur, um nach drei Stunden Stehens meine schmerzenden Knie und den verspannten Rücken wieder einigermaßen hinzukriegen.

Dann endlich, weit nach 10 Uhr. Ich habe ja immer Schiß, daß sich Musik, die ich mag, live als Flop erweist. War aber nicht so. Synthetische Musik, aus Versatzstücken montiert und zugleich total lebendig, eine eigene Welt schaffend wie ein Roadmovie.
Die bunten T-Shirts zucken die Schultern und sahen sich ratlos an.
"Ich dachte, das waren sie schon!", sagte die aufgeregte Blonde vorwurfsvoll. Der Typ im grünen Shirt gestikulierte: "Nee, ja, kann man nicht so genau sagen, irgendwie!" Dann meinte sie: "Irgendwie stört meine Tasche hier." Ja, ich war schon ein paarmal fast draufgetreten. Hoffentlich war kein Laptop drin. Der Typ trug sie dann den Rest des Abends und dafür durfte er ihr sogar den Arm um die Schulter legen...

Fazit: Das lange Warten hat sich gelohnt und ich muß heute unbedingt noch die CD kaufen.

Ach und die schräge Braut mit der E-Gitarre wra die Geigerin der Band, die mal was neues ausprobieren wollte...

Freier Fall

Ich habe das Gefühl, daß wir alle im Ballsaal der Titanic stehen und die Kapelle spielt weiter. Noch lächeln wir. Warum auch immer, dieser Satz kam vorgestern bei meinem Gesprächspartner nicht gut an.
Ich habe vor 4 Wochen als wichtigsten Punkt meiner Lebensplanung "finanzielle Vorsorge" markiert. Doch manchmal ist das Leben schneller. Die Werte, mit denen ich Vorsorge noch vor 4 Wochen festgemacht hätte, existieren nicht mehr. Ich bin weit davon entfernt, Schadenfreunde zu empfinden. So nach dem Motto: "Ätsch, ihr Idioten, immer schön verzichtet und für spätere Zeiten gespart, jetzt seht ihr, was ihr davon habt! Ich hab gelebt und Spaß gehabt!" Ich habe Menschen, die mit Geld umgehen können, immer beneidet. Geld hatte für mich nie einen Wert und schon gar keinen emotionalen.
Spekulative Geldanlagen (das ist für mich alles, was über den Eckzinssatz hinausgeht) fand ich zwar interessant, ich habe jedoch nie Geld in Produkte gesteckt, die ich nicht verstanden habe und ich habe jeglicher Beratung mißtraut.
Wenn mein Ex-Freund aus dem Beruf plauderte (er handelte dereinst Dax-Futures für eine Bank), habe ich die Ohren aufgesperrt. Und so hörte ich das eine oder andere darüber, was passiert, wenn ein Fondsmanger einen miesen Tag hatte oder computergesteuerte Programme eine Eigendynamik entwickelten. In meinem Kopf blieben auch banale Sprüche stecken wie: Die Börse gibt, die Börse nimmt. oder Wenn in der Zeitung steht, daß Aktien gefährlich sind und die letzte Oma daraufhin ihre VW-Aktien verkauft, dann geht es wieder aufwärts.
Alles in allem habe ich einen Heidenrespekt vor raffinierteren Anlageformen und bin der Meinung, daß Rediten um 20% zwar angenehm, aber hochgefährlich sind.
Ich bin auch in einer privilegierten Situation, denn ich hatte nie ein Vermögen zu verwalten und für nachfolgende Generationen zu bewahren. Wäre dies der Fall gewesen, hätte ich darüber viel lernen müssen.
Vielleicht ist es meine Prägung: aufgewachsen in einer Gesellschaft, die Geld als notwendiges, bald abzuschaffendes Übel betrachtete, erwachsen geworden in einer Welt, in der alte Werte nichts mehr bedeuteten, dazu die Berichte der älteren Generation von Inflation, Weltwirtschaftskrise und Währungsreform. Irgendjemand in der Familie hatte immer grade das Geld für ein Häuschen oder ein größeres Geschäft zusammengespart und dann kam alles anders. Die von mir sehr verehrte Vicky Baum haute in ihrer Biografie nochmal in dieselbe Kerbe. Es waren wenige Jahre, die sie als Bestsellerautorin und Ullsteinredakteurin in Berlin verbrachte. Mit Villa im Grunewald und Boxtraining in der Mittagspause, abends Premieren und Vernissagen. Dann kam alles anders, dann brannten ihre Bücher und von ihrem ersparten Vermögen (sie hatte ein bitter armes Bohemeleben hinter sich, hatte die Schulden ihres ersten Mannes aus einer Verlagsunternehmung abgezahlt) durfte sie ein lächerliches Taschengeld nach Amerika ausführen.

Kurzfristig mögen sich Spekulationen lohnen. Vor allem für Leute, die sehr viel davon verstehen und auch wissen, wann sie die Finger von etwas lassen müssen. Alle anderen sind das Zahlvieh, das zu spät in das Pilotenspiel eingestiegen ist.
Sehr langfristig lohnen sich wahrscheinlich nur bodenständige Wertanlagen: Selbst bewohnte Immobilien, eine gute Ausbildung, eine große intakte Familie, Teilhabe an Rohstoffen, erzeugender Industrie oder Landwirtschaft. Das ist langweilig, konservativ und verspricht wenig Spaß.
Ich habe in den letzte Tagen darüber nachgedacht, was wohl demnächst passieren wird. Jeder, der in dieser Welt Verantwortung trägt und in diesen Tagen Entscheidungen fällen muß, weiß, was nach der Weltwirtschaftskrise kam. Der fast vollständige Zusammenbruch des Mittelstandes, das schlimme Elend der Unterschicht und die politische Energie, die diese Demütigung hervorbrachte. Danach wurden bescheidener Wohlstand und soziale Sicherheit um jeden (ideologischen) Preis akzeptiert.
Es wird sich zumindest für mich anders anfühlen als der Zusammenbruch des Neuen Marktes. Damals rauschten wir in der Medienindustrie aus einer Boomphase in eine Hypephase und dann in die totale Konfusion. Wir klammerten uns an den Satz "Schließlich muß ja irgendwas gesendet werden!" Daß das irgendwas auch endlose Wiederholungen oder billigste Non-Fiction sein konnte, war uns nicht klar. Jetzt trifft uns Medienmenschen die Krise in einem ohnehin im Umbruch befindlichen Markt. Das hat Vorteile - trotz Aufschwung waren das keine fetten Jahre, die wir erlebt haben. Das hat auch Nachteile - auch für uns saßen die Kredite locker, viel Risiko ist nun nicht mehr drin und offenes muß zurückgezahlt werden, ob Banken nun über den Jordan gehen oder nicht.
Was wird sein?
logo

The Diary of Kitty Koma

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Quickcheck

Deshalb. Letzter Abschnitt.
Deshalb. Letzter Abschnitt.
kittykoma - 7. Nov, 23:29
Warum?
cabman - 7. Nov, 21:33
Es ist vollbracht
Kitty und ihr Tagebuch sind wieder an die alte Adresse...
Kitty (importiert durch kittykoma) - 18. Okt, 16:03
wieder einmal bestätigt...
wieder einmal bestätigt sich, dass sport eben doch...
Huehnerschreck - 6. Apr, 10:21
Einmal im Jahr
muß sein. 2007: angebrochene Rippe im Wanderurlaub. 2008:...
kittykoma - 4. Apr, 20:44
Ich will auch einen Staubsauger...
Ich will auch einen Staubsauger mit dem die Hausarbeit...
Steffi (Gast) - 8. Mai, 06:45
Saure Eier
Bei uns gehen Saure Eier etwas anders. Mit Butter in...
Schwaka (Gast) - 17. Feb, 14:20
another feuchtgebiet...
spätpubertäre literaturwunderkinder - siehe...
kittykoma - 6. Feb, 13:43

Kittytweets

    Wünsche

    Mußtu hörn:

    Früher war alles besser!

    Immer noch lesbar

    Suche

     

    Status

    Online seit 6295 Tagen
    Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

    Credits