19
Dez
2008

Das wars

Warnung: Die folgenden Zeilen enthalten sehr persönliche Bekenntnisse. Wahrscheinlich stehen sie nicht am richtigen Ort, wären im Verborgenen doch besser aufgehoben.

In den Sommermonaten habe ich irgendwann in einem Gespräch mit einem Freund gesagt: Das ist nicht mein Jahr. Was in dieser Weise nicht stimmte. Es war mein Jahr. Es war das Jahr, in dem ich es endlich geschafft habe, mal einen Blick in meine Gebrauchsanweisung zu werfen. Was mich mit Sicherheit nicht davor schützt, dieselben Fehler immer wieder zu machen. Dazu sind wir schließlich auf der Welt.
Die ersten drei Monate erinnere ich nur noch im Zusammenhang mit HeMans Sofaecke, in der ich mich zusammenrollte. Todmüde, schlafend und ziemlich unglücklich. Wie eine streunende Katze, die ein ruhiges Plätzchen gefunden hat und es mit Krallen und Fauchen verteidigt. Die emotionale Unsicherheit hat mich überfordert. Das Kind, das seinen eigenen Lebensentwurf mir gegenüber verteidigte und sein Studium schmeißen wollte. KKM, die ich im Krankenhaus und später im Pflegeheim besuchte und die mich in den ersten Wochen immer wieder fragte: Muß ich jetzt in die Grube? und ich sagte natürlich: Nein Oma, dazu bist du noch viel zu fit! Bis sie mich irgendwann nicht mehr fragte und ich ihr das auch nicht mehr hätte antworten können. Meine Arbeit, die darauf beruht, dass andere Menschen auf meine Ruhe und meine Kraft vertrauen und mich brauchen. Dabei habe ich sehr dringend selbst die Kraft anderer gebraucht. Ein Beziehungsentwurf, den ich so nicht leben konnte und wollte. Mögen das auch hunderte andere machen, ein Paar zu sein in getrennten Wohnungen, das kann ich nicht.
Ich bin immer wieder mit der Nase darauf gestoßen, dass mein Selbstbild: Ich schaffe alles allein, ich brauche niemanden, anfing zu blättern und zu bröckeln. Die Erkenntnis, dass ich mir jede Menge Menschen und zweifelhafte Sicherheiten in den Hintergrund gebaut hatte, um dann meine Lonesome-Cowgirl-Nummer zu spielen, brauchte Monate. Um die Fähigkeit zu entwickeln, die Hilfsangebote und Signale anderer zu erkennen und anzunehmen, habe ich wiederum Monate gebraucht.
Das alles wurde ausgelöst durch den im Grunde genommen vorhersehbaren Tod eines alten Menschen. Ich hätte nie gedacht, dass der Mensch, der einem den ersten Jahren des Lebens der nächste und der zuverlässigste ist, ein solch starker Anker ist. Je älter KKM wurde, desto weniger war sie für mich die Respektperson meiner Kindheit, desto mehr habe ich mich von ihr entfernt. Trotzdem, im hintersten Winkel meines Kopfes gab ihre Existenz mir die Gewissheit, dass ein Mensch in der Nähe ist, zu dem ein kleines weinendes Mädchen laufen kann, das gerade hingefallen ist.
Ich wünsche mir manchmal die Fähigkeit, Trauer, Wut und Verzweiflung in Energie verwandeln zu können, egal, wie anarchisch sie ist. Bei mir wird immer Energieverlust daraus. Ich bin wie gelähmt, lethargisch und werde am Ende krank. Ich habe im Sommer Monate an meinem Schreibtisch gesessen, die Telefonate entgegengenommen, als wäre ich meine Sekretärin und habe ins Leere gestarrt. Es hat lange gebraucht, bis ich in der Lage war, meinen Zustand überhaupt zu begreifen. Um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen, Hilfsangebote zu erkennen und zu nutzen, das hat noch eine Weile länger gedauert. Zumindest weiß ich jetzt, dass ich nicht immer bis zum Generalzusammenbruch durchhalten muss. Ich weiß jetzt auch, dass ich Signale, die mir Körper und Seele senden, tatsächlich ernst nehmen muss und nicht als zu bekämpfende Schwäche interpretieren darf. Und ich weiß, dass sie da sind wenn ich sie brauche. Das Kind, die Freunde, der Mann.
Wenn ich mal einen Strich unter diesen Seelenstriptease mache und zusammenfasse:
1. Zugenommen. Viel zu viel.
2. Kurzsichtiger. Aber die Arme sind noch lang genug. Auf dem Bauch liegend kann ich allerdings nicht mehr lesen, das wäre dann schon eine Yogaposition.
3. Haare länger. Wieder die Originalhaarfarbe, aschblond, eine kleine graue Strähne ist dazugekommen.
4. Sex. Reden wir mal von was anderem.
5. Freunde. Erkannt, was Freunde wert sind.
6. Verwandte. Keine Illusionen mehr.
7. Musik. Weiß nicht, war alles eher nebenbei.
8. Film. No Country for Old Men zumindest vom cineastischen her. Vom emotionalen Schmetterling und Taucherglocke. Vom Spaß her Wall e.
9. Bücher. Sandor Marai: Die Glut, mit Verspätung wie die meisten Bücher.
10. Die wichtigste Sache von der ich jemanden überzeugen wollte. Das mein Vater zur Beerdigung seiner Mutter erscheint und sich damit folgerichtig seine Frau, meine Mutter, auch nicht weigert zu erscheinen. Obwohl es ihm schlecht ging.
11. Der größte Fehler. Siehe oben. Meinen Vater davon zu überzeugen, zur Beerdigung seiner Mutter zu erscheinen. Obwohl es ihm schlecht ging.
12. Das schönste Erlebnis. Zwei Hochzeiten.
13. Das schönste Geschenk, das ich bekommen habe. Halt, Zuverlässigkeit und Aufmerksamkeit.
14. Das schönste Geschenk, das ich gemacht habe. Vielleicht, zu akzeptieren, dass meine Tochter ihren eigenen Weg gehen will.
2008 war, mit drei Worten, hart, bahnbrechend und wegweisend.

...

Komisch. Ich bekomme massenhaft Weihnachtsmails von Leuten, die ich überhaupt nicht kenne und mit denen ich nie zusammengearbeitet habe. Ist das jetzt gut oder schlecht?
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Deshalb. Letzter Abschnitt.
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wieder einmal bestätigt...
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