27
Sep
2007

Once Upon a Time

Attention please! Very romantic content!
Und Hinweis ans Kind: Das willst du gar nicht lesen!

Es muß in der Luft liegen. Glam, Lucky und der Raketenprinz erzählen Geschichten früherer Affären. Auch ich feile seit Tagen an einer Sache, die in bunten Zeitschriften unter der Überschrift Das große Geständnisgedruckt würde. Nun
denn. Das ist der Soundtrack zur Szene:

Es ist Sommer, sehr heiß. Ein Loft mit langen Musselinvorhängen, die im Wind wehen.
Eine Frau geleitet einen Mann zur Tür. Sie gehen langsam, Hand in Hand.

Er: Ick lieb dich sowieso für immer. Dit weißte doch.

Sie: Hm ja. (schnief)
beiseite: Scheiße, auch noch mein Lieblingslied.

Die beiden bleiben vor der Tür stehen und umarmen sich.

Sie: Ich denk an dich

Er: Wenn wir alt sind, dann...

Er geht, dreht sich vor der Treppe noch mal um. Sie steht in der Tür.
Sie sehen sich noch einmal lange in die Augen. Es ist nicht klar, wer den Impuls zuerst hat. Sie, die Tür zu schliessen. Er, die Treppe hinunter zu gehen.
Ich war 18 Jahre mit ihm zusammen. Länger als mit jedem anderen Mann.
Wer jetzt weiß oder ahnt, wie alt ich bin und aufaddiert, wird sich fragen, ob ich doppelt so alt bin oder zwei Leben gelebt habe. Letzteres ist wohl mehr oder weniger der Fall.
Wir haben uns als Studenten getroffen. Er ein schmaler Stadtcowboy. Ich eine überforderte Möchtegernlady. Ich weiß gar nicht, wann und wie wir uns kennengelernt haben. Irgendwie über Kollegen. Es gab schon vorher Begegnungen. Ich sah ihn in einer öffentlichen Prüfung, in der er schmählich versagte. Er sah mich in der S-Bahn mit einer Freundin und traute sich nicht, mich anzusprechen.
Dann waren wir irgendwann verabredet mit seinem Opel Manta nach auswärts zu einer Premiere zu fahren. Ich war very Madonna in Vogue ausstaffiert. Schwarze Leggings, Schnürstiefel, enge Schößchenjacke und eine paillettenbestickte Korsage, die ich mit Schaumgummi ausgepolstert hatte, so dass mir die Brüste unterm Kinn standen. Dazu Lippenstift und Nagellack Trés Dior, platinbleiches Haar und zu dunkle Augenbrauen. - Kann gar nicht begreifen, dass ich mal so ein scharfes Luder war.
Wir kamen zu spät zur Premiere, weil er die ganze Zeit mit seinen Cowboystiefeln nervös durch seine Wohnung preschte. Bis er dann vor mir stehen blieb und sagte: "Scheiße, ick muß dich küssen!" Meinen Lippenstift über sein Gesicht verschmierte, lange vor mir niederkniete und mich schließlich an an seinen Hochbettpfosten nagelte.
Bei solchen Eroberungen verknalle ich mich ja sofort, vor allem wenn ich grade solo bin. Er reagierte verhalten auf meine Anrufe, tauchte aber immer wieder bei mir auf und versuchte, sich sehr liebevoll, aber tollpatschig bei meiner Tochter zu profilieren. Als ein halbes Jahr später eine Wohnungsmodernisierung bei mir anstand, bot er mir an, mit Kind und Katze zu ihm in seine Vierzimmerwohnung in Mitte zu ziehen, er bräuchte sowieso nur ein Zimmer und außerdem wäre er immer öfter beruflich unterwegs. Ich lehnte freundlich mit den Worten ab: Ich möchte einen Mann, der zu Hause ist.
Wir waren bald in festen Beziehungen und trafen uns trotzdem. Sahen uns Filme an, im Kino oder bei ihm auf Video. Lasen uns unsere Drehbücher vor. Redeten uns die Köpfe heiß darüber. Hatten harten, körperlich fordernden Sex. Morgens deckte ich ihn zu, schlich mich davon und fuhr in der Dämmerung nach Hause.
Die Zeit verging. Wir sahen uns manchmal monatlich, manchmal alle halbe Jahre. Er machte Karriere, ich auch. Er hatte Probleme, ich auch. Wir halfen uns, ohne wenn und aber. Mit Kritik, mit Kontakten, was grade nötig war. Da war alles dabei. Berufliche und gesundheitliche Katastrophen, Trennungen, uneheliche Kinder.
Wir liebten uns, in dem Bewusstsein, dass es ewig sein konnte, wir aber nie miteinander leben würden. Wir akzeptierten uns in jedem körperlichen und seelischen Zustand. Verfettet und abgerackert. Gepflegt und trainert. Ich hatte ihn mit 20 Kilo Übergewicht und vom Kiffen zugeschwollenen Augen über mir, wie mit aufgepumpten Muskeln, eine Rapperkette auf der schweißbedeckten Brust baumelnd.
Wir schrammten am Rande von Ehekrach und Ärger. Er klingelte um vier Uhr morgens bei mir. Ich knurre ihn verschlafen an: "Bist du bescheuert, mein Freund wohnt jetzt hier!" Er krempelt den Ärmel seines T-Shirts hoch, wollte mir nur das neue Drachen-Tatoo auf seiner Schulter zeigen. Ich taperte wieder ins Bett. Der Anblick seiner Oberarme begleitet mich in den Schlaf.
Ich spreche auf seine Mailbox, will ihn treffen. Er kann seiner Frau das Telefon grade noch so aus den Händen reißen. Er fährt sofort zu mir. Sagt mir, dass ich seine Wichsphantasien begleite. (Ich?! Bin Ich ein Pornostar?)
Wir halten die Geschichte absolut geheim. Selbst enge Freunde wissen nichts, ahnen höchstens. Manchmal geben wir uns Signale. Auf Parties, wo wir beide nicht allein unterwegs sind tauschen wir einen Blick. Begegnen uns im Eiscafé, an der Straßenkreuzung, andere Menschen an unserer Seite und sehen uns nur einige Sekunden in die Augen.
Letztes Jahr ruft er mich an. Wir hatten länger nichts von einander gehört. Er war fast wieder verheiratet, hatte ein neues Kind, ich hatte es in der Zeitung gelesen und freute mich für ihn. Er wollte mich sehen, sofort. Ich dachte nur: "Scheiße, nicht jetzt." Ich hatte mich ebenfalls ernsthaft verliebt. Wollte alles anders machen, mir Mühe geben. Keine Halbheiten mehr. Keine Fluchtmöglichkeit. ir saßen im heißen Frühsommer nackt auf meinem Bett. Die Musselinvorhänge blähten sich. Er sprach von seiner neuen Frau, von dem Baby. Ein Kind, das er nicht an eine Frau verlieren wollte wie die anderen drei. Davon, dass ich unsichtbar dazwischen stehen würde. Ich verstand, weil es bei mir nicht anders war. Er war mein Halt gewesen, die ganzen Jahre über. Egal, was passierte, es gab die Gewissheit, es gab ihn, selbst wenn wir monatelang nicht miteinander gesprochen hatten.
Ich begriff, es war Zeit für ein Leben ohne Netz und doppelten Boden.
Wir packten uns ein letztes Mal am Nacken, sahen uns in die Augen, den ganzen Akt lang. Es war das letzte Mal. Doch ohne die Schärfe der früheren Jahre. Wir waren älter, versöhnlicher, zärtlicher geworden. Dann schwiegen wir lange. Bis es Zeit war, zu gehen. Ich brachte ihn den langen Weg zur Tür.

26
Sep
2007

Suchanzeige

Wenn ich mal eine weitere kleine Peinlichkeit aufdecken darf: Ich war früher leidenschaftliche Sci-Fi und mitunter Fantasy-Leserin.
Wobei mir frauenaffine Fantasy zu albern war. Mit Marion Zimmer Bradley kann man mich jagen.
Aber Ursula K. LeGuin hab ich immer sehr gemocht.
Leider habe ich die Jubiläumsausgabe von Die linke Hand der Dunkelheit verpaßt. Sie ist vergriffen und auch antiquarisch ist kein Exemplar mehr zu bekommen.
Wer über diese Lebensphase mittlerweile weg ist und das Buch noch im Regal hat, der sollte sich nicht scheuen, mir einen Wink zu geben.
Als Gegengabe gibts einen Tscheppe Sauvignon Blanc vom Czamillonberg.

25
Sep
2007

Grauenvoll

aufgeklebte Plastikchips, die French Nails darstellen sollen.
Hat diesen Sommer jede Kudammrussin an Händen und Füssen. Von den Pornodarstellerinnen ganz zu schweigen.

24
Sep
2007

Komplett kompakte Woche

7 Tage wie im Dauerlauf. Und nun ist schon wieder Montag.
Und selten so viel Up and Down.
Buchhaltung. Firmenfinanzen. Die Zähigkeit der Nachsaison, die noch keine Entspannung bringt, aber Job auf Sparflamme.
Unzufriedenheit. Mit meiner Lebens- und Arbeitsorganisation.
Gestrahlt wie ein Honigkuchenperd beim Abholen des neuen Autos. Eingestiegen und schon nach einem halben Tag einen Riesenspaß am Fahren gehabt, wie ich ihn in den letzten zwei Jahren mit dem roten Hurenauto nie hatte. Es ist wie mit Hunden: Man muß zusammenpassen.
Das rote Hurenauto abgegeben. Daß sich das Kind zweimal ins Auto auf den Ledersitz fallen ließ und dabei einen gratigen, blechbeschlagenen Gürtel trug, ergibt einen Schaden von 1300 €.
Die Versicherungsmaklerin übernimmt keine Garantie dafür, das der Schaden von der Haftpflichtversicherung übernommen wird. Und wenn, dann auf keinen Fall in voller Höhe.
Mit HeMan durch den Spreewald gefahren. Und zur Sacrower Heilandskirche zum Sonnenuntergang. Dafür das Scala-Konzert verpaßt. Aber zum Ausgleich laut im Auto mitgesungen.
Um den Schlachtensee gelaufen, quälend. Ich bin keine Läuferin. Dann geschwommen, im Grunde bin ich eine Amphibie. Im Wasser kenne ich keine Erschöpfung und keine Müdigkeit.
Abgrillen. Dem Entrecote eines uralten Ochsen zur vorletzten Ruhestätte verholfen. Mann, war das zäh! Und auch noch bio und schweineteuer. Ich hoffe, das Vieh hatte ein glückliches Leben.
Immer wieder über mein Unvermögen nachgedacht, zwar zusammenlebend allein sein, aber nicht alleinlebend zusammen sein zu können. Über dieses Problem wieder und wieder geschwiegen. Haltung bewahrt, preußisch wie immer.
Bis meine Unbewußtes einen Befreiungsschlag machte. Heulkrampf. Erbärmlichkeit. Gesichtsverlust. Zu viel von mir erzählt.
Verdammt.
Und heute ist wieder ein schöner Tag. Nur der Termin mit der Versicherungsmaklerin am Nachmittag stört. Für sieben Versicherungen bezieht sie Provision. Zur Unterschrift unter zwei weitere Verträge will sie mich heute bewegen. Für den letzten Schaden in Höhe von 2.000 € (die eingeschlagene Autoscheibe, das geklaute Navi und die nebenher mitgenommenen Klamotten, Schmuck und Kosmetik) hat sie "heldenhaft" 150 € Kulanzzahlung erwirkt. Ich ahne, in welcher Höhe ich diesmal abgefunden werden könnte. Ich bin in der Hinsicht definitiv zu nett.

17
Sep
2007

Bei Stasis zu Hause

Als ich aus dem Krankenhaus kam, lief der Umzug. Die gesamte Familie half. Mein Bett wurde zuerst aufgebaut und ich folgte dem Gang der Arbeiten im Liegen.
Da meine Eltern darin nicht so versiert waren, schließlich waren sie erst zweimal in ihrem Leben umgezogen, war ich ein paarmal kurz vor dem Zusammenbruch, denn mein Bruder konnte nicht überall sein. Zum Beispiel, als meine Mutter ein Ivar-Regal von zweieinhalb Meter Länge montierte und nur ein Stabilisierungskreuz fand, das Regal aber trotzdem mit Zentnern von Büchern füllte. Oder mein Vater, der sich sechs Stunden damit beschäftigte, zwei Borde in die Wand zu dübeln und dann endlich verkündete, das ginge nicht, die Wand wäre nicht die richtige. Vier von den sechs Stunden hatte ich (mit zugegebenermaßen nicht sehr kräftiger Stimme) auf ihn eingeredet, er solle doch bitte in den nächsten Baumarkt fahren, um Hohlraumdübel zu kaufen, das wäre eine Rigipswand. Dasselbe hatte ihm mein Bruder gesagt, mein Vater ignorierte es aber standhaft.
Die Hausbewohner nahmen regen Anteil an unserem Einzug. Alte Damen mit Gehhilfen standen zeternd im Erdgeschoß und erklärten, es wäre eine Unmöglichkeit am Samstag vormittag einzuziehen, ausgerechnet, wenn sie einkaufen und den Fahrstuhl benutzen müßten. Da der Fahrstuhl im 9. Geschoß endete und zwei Treppenhäuser und drei Stockwerke versorgte, fanden 12 Mietsparteien immer wieder einen Grund, zu schauen, wie unsere Möbel aussehen und wer überhaupt einzieht.*
Als da waren:
  • Die nette uralte Dame. Irgendwie habe ich immer neben einer netten uralten Dame mit wässrigblauen Greisenaugen gewohnt. Diesmal lag ihr Wohnzimmer Wand an Wand mit dem Kinderzimmer. Und das Kind war grade in der Punkmusikphase. Aber das war ausgleichende Gerechtigkeit. Denn Jahre vorher hatte eine uralte und zu dem schwerhörige Dame mit wässrigblauen Greisenaugen ihren Fernseher an meiner Schlafzimmerwand stehen.
  • Ein Ehepaar um die sechzig. Sie blond, nett und unterwürfig. Er gutaussehend, sehr sportlich, der ganze Habitus verriet, daß er ehemaliger Offizier war (weniger Stasi, dazu wirkte er zu intelligent). Katzenfreundlich, lauernd. Er konnte uns nicht einsortieren. Klassenfeind? Doch auf "unserer" Seite? Konnte man die ankumpeln und gemeinsam auf die neuen Zeiten schimpfen? Ich hatte mir vorgenommen, daß ich, sollte er mir irgendwann blöd kommen, den ganz bösen Befehlston auspacken würde. So von wegen Genosse, nehmse gefälligst erstmal Haltung an! und wenns hart auf hart gekommen wäre, hätte ich ihm sicher gesteckt, daß mein Großvater dereinst sein Vorgesetzter war. Vielleicht wäre ich dann um die 14tägige Trepenrenigung gekommen, mit der mans hier sehr genau nahm.
  • Der geschiedene, vereinsamte Alkoholiker. Teigig, still, verhuscht, mit Joggighosen und verkleckstem Shirt. Immer noch mit einem schrecklichen anhaltiner Akzent geschlagen. Erstaunlicherweise war er einer der wenigen, die arbeiteten. Er trug morgens Zeitungen aus.
  • Die schrullige alte Schreckschraube. Ich weiß garnicht, ob es diesen Typ Frau im Westen überhaupt gibt. Sie ist häßlich, weil sie sich häßlich macht mit unmöglichen Frisuren und Klamotten - in diesem Fall war es so eine schreckliche 70er-Jahre Ballonmütze aus Tweed - wirkt ein Leben lang alt, spricht zu laut, ist aufdringlich, neugierig und hat und hatte nie einen Mann. Sie bevölkert mit Vorliebe kulturelle Nachbarschaftsinitiativen: Buchlesungen der Stadtteilbibliothek, Laien-Fotoausstellungen, Adventzusammenkünfte der Wohnungsbaugenossenschaft etc. pp.
    Als erstes nahm sie meine Familie beiseite und erklärte ihr, daß hier im Haus alle zusammenhalten und ganz viel miteinander unternehmen und auch für Sauberkeit sorgen. Um das zu unterstreichen, erzählte sie Beispiele aus den letzten 20 Jahren und hielt damit den ganzen Umzug auf. Am meisten interessierte sie, wer denn nun der zu mir gehörige Mann wäre (mich hatte sie schön ein paarmal im Hausanzug über den Flur wanken sehen). Als sie dann erfuhr, daß ich alleinerziehnde Mutter bin, schwankte sie zwischen: na das wird Ärger mit den Kerlen geben und prima, da ist jemand genauso allein wie ich. Leider blockte ich ihre freundlichen Kontaktaufnahmen ab. Sie klingelte um halb zehn Uhr abends mehrere Male, um mich zu informieren, daß ihr zu Ohren gekommen wäre, wir hätten am Sonntag vormittag Löcher gebohrt, was aber außerhalb der erlaubten Zeiten nur Fachfirmen und Meisterbetrieben gestattet sei und sie klärte mich darüber auf, daß das Anbringen eines 10 cm breiten Schuhschrankes an der Wand neben meiner Wohnungstür feuerpolizeilich verboten wäre. Nachdem ich sie ein paarmal freundlich-aasig abfahren ließ, gab sie es auf.
  • Die frisch getrennte, tiefst depressive, völlig überforderte junge Mutter. Ihrer Kleidung sah man noch ihre Gruftivergangenheit an. Leider hatte sie einen kleinen Emotionalterroristen in die Welt gesetzt, der sie von morgens bis abends mit Brüll- und Schreianfällen drangsalierte. Manchmal, wenn der Bengel Luft holte, um noch lauter weiterzubrüllen, konnt ich sie betteln hören: Bitte lass Mama doch mal ein bißchen in Ruhe! Aber Chucky kannte kleine Gnade...
  • Der ABV (Abschnittsbevollmächtigte, das Pendant zum KOB) mit seiner Frau. Sicher war er mittlerweile außer Dienst, wenn man das von solchen Leuten überhaupt sagen kann. Klein, untersetzt, rotes Bauerngesicht, auf den Fußspitzen wippend stand er neben mir im Fahrstuhl und sah mich mit unverhohlenem Haß an. Seiner kleinen verhuschten Frau, die keinen Schritt von seiner Seite wich, war das sichtlich peinlich, aber sie zog den Kopf ein, wie wahrscheinlich immer.
In den ersten Wochen, als ich noch schwer unter Schmerzmitteln stand, beglückwünschte ich mich zur Entscheidung für die Platte. Denn auch im Typ P2 (ich war 13 Jahre im Typ WBS70 aufgewachsen) war der Weg in Küche und Bad derselbe. Ein gelernter DDR-Bürger fand ihn in jedem Zustand.
Das Kind und ich räumten mehrere Male um. Die 4 Zimmer auf 64 qm, die wir bewohnten (früher wären die einer vierköpfigen Familie zugeteilt worden) waren zu klein für unsere Möbel. Ansonsten war ich recht zufrieden. Zumindest im Frühling und Winter konnte ich den düsteren Prohezeiungen meiner Freundin nicht folgen, die der Meinung war, so eine Wohnung sei schon Feng-Shui-mäßig eine Katastrophe und der Stahbeton der Wände wirke wie ein Faradayscher Kafig und würde die Strahlen des Universums aufhalten. Ich sah auf gigantische Sonnenauf- und untergänge. Im Schlafzimmerfenster, vom Bett aus, sah ich den Fernsehturm (und die manchmal in Winternächten dort einschlagenden Blitze) und aus dem Wohnzimmerfenster hatte ich einen Blick wie von Gursky fotografiert, eine "Wohnscheibe", eine Straße lang, 11 Stockwerke hoch. Hinter den Fenstern spielte sich ein kleines Welttheater ab. Dort wurde gekocht, gestritten, gevögelt und auf riesigen Fernsehern Frühstücksfernsehen gekuckt. Um die Weihnachtszeit blinkten überall diese psychedelischen Lichter. Es war nie langweilig.
Der Sommer offenbarte das Problem dieser Wohnung. Die Wände und Fenster waren zwar isoliert worden, aber nicht das Dach. Und so entstand um die Mittagszeit, wenn die Sonne auf das Dach schien, eine unerträgliche Hitze, die erst gegen Morgen des nächsten Tages nachließ. Es gab Nächte im Sommer, da bin ich bis drei Uhr nachts Rad gefahren, weil ich vor Hitze nicht schlafen konnte.
Das Kind war am Wochendende und in den Sommerferien kaum noch zu Hause. Sie probte das Zusammenleben mit ihrem Freund. Ich wiederum merkte, daß ich in dieses Haus nicht paßte. Der Sozialneidkratzer an der Autotür war das geringste Problem. Klar, hier fuhr man keinen Roadster. Hier hatten die meisten keine Arbeit, waren Verlierer der Geschichte und im Treppenhaus hing die Telefonnummer für die Alkoholiker- und Schuldnerberatung aus.
Außerdem behagte mir der Michaelkirchplatz nicht. Diese Nahtstelle aus Ost und West bot zwar Zugang zu allen möglichen Kulturen - altes Kreuzberg, neues Kreuzberg, alte Mitte, neue Mitte - aber die10 Straßen, die in ihn mündeten (alle mit unterschiedlcher Vorfahrtsregelung) hatten mir innerhalb von acht Monaten zwei schuldhafte Unfälle beschert. Jedesmal hatte ich es eilig und habe die Vorfahrt mißachtet. Für jemanden, der vorher nie einen Unfall verusacht hatte, war das ein deutliches Zeichen.
Die Karawane würde weiterziehen. Diesmal ohne das Kind, das mittlerweile das Abitur hatte und schon 19 Jahre alt war.
Das letzte Kapitel naht. Die Erfüllung eines Traums. Loftleben.

* Das Haus lag im ehemaligen Mauerstreifen. Ein Gebiet, wohin früher nur "zuverlässige Genossen" ziehen durften, Teile des Viertels waren - obwohl Berlin Mitte - nur mit Passierschein betretbar. Deshalb wohnten hier bevorzugt Polizisten, Kriminalisten und Offiziere von Stasi und Grenztruppen.

Der englische Besuch

ist ein ehemaliger Nachbar von HeMan. Einer von der Herde, die mittlerweile über die halbe Welt verstreut ist und sich in einer Wohnanlage in Sachsenhausen am Main kennengelernt hat.
HeMan hatte mich vorgewarnt: der ist ein bißchen sonderbar. Hi-End-Stereoanlagen-Nerd, kurz vorm absoluten Gehör. Beruflich ziemlich weit oben und im praktischen etwas gaga, zum Beispiel beim Beteiligen an Kneipenrechnungen.
Ich hatte sonstwen erwartet. Aber es stand nur ein netter, ein wenig rundlicher, weißhäutiger, straßenköterblond & brav frisierter Typ vor mir, der deutsch mit so einer dezenten Andeutung von britischer Versnobtheit sprach, daß es Spaß machte, ihm zuzuhören.
Das Wochenende verging wie im Flug. Wir haben das übliche, nach Wünschen und Interessen modifizierte Sightseening-Programm abgespult, das wir immer machen für die Nichtberliner.
Modifiziert hieß, der Gute wollte Klamotten kaufen, weil er in London vor lauter Arbeit nicht dazu kommt. Mit HeMan macht das Spaß, weil der männeruntypisch 1. gern sinnlos durch Geschäfte zieht und 2. tatsächlich einen ziemlich guten Geschmack hat.
Und so verbrachten wir den Samstag in Mitte und ließen sogar einen Standardprogrammpunkt ausfallen, nämlich die Scampipfanne bei Rogacki - besser kann man das alte Westberlin wirklich nicht auf einem Haufen erleben. (Im KaDeWe sind dafür zu viele Touristen unterwegs.)
Abends dann Kreuzberg, danach noch bis in die Nacht bei mir rumlümmeln. Doch vorher war ein Ausflug in das neue Alexa-Einkaufszentrum nötig. Der englische Besuch wollte nämlich eine LED-Leuchte kaufen, die per Fernbedienung sämtliche Lichtfarbtöne mixen kann. Die gibt es nämlich in England noch nicht. Und so kam auch ich in den Genuß des lädierten Mediamarktes in diesem komischen, in einem roten Bunker befindlichen Einkaufszentrum, das innen schwarz-gold-bunt wie Dubai-Luxus für Arme aussieht. Für Arme war auch das sonstige Publikum. Was den englischen Besuch nicht störte. Er war so fasziniert von diversen technischen Spielzeugen, daß wir ihm seine zwei Lampen an der Kasse zahlten und ihn aus dem Laden zerrten, sonst wären wir dort heute noch drin.
Sonntag war dann Ausflugsprogramm angesagt. Schroers Biergarten, Fischerdorf Rahnsdorf, Klein Venedig. Ich versuchte, anhand der dort lebenden und ausflügenden Spezies, dem englischen Besuch beizubringen, wie man Ossies von Wessies unterscheidet. Was allerdings bei diesen Unmengen fein zurecht gemachter Super-Illu-Leser nicht schwer war.
Der Tag endete im Kaffekahn, wie der Berliner sagt.
Und justament da merkte ich, daß ich an diesem Wochenende die ganze Konversation bestritt. Was bei einem Vielredner (fünf Minuten Redezeit sind Minimum, unter dem kommt man nicht dazwischen) wie HeMan etwas heißen mag.
Der englische Besuch und ich hatten Ähnlichkeiten, die unerwartete Syergieeffekte hervorriefen. Abgesehen von straßenköterblond, n paar Kilo zuviel und ein paar Blindflecke in der emotionalen Intelligenz, die mich genauso zieren, spielten wir uns die Bälle nur so zu. Zwei Aliens vom Typ analytischer Denker und Generalist hatten sich getroffen und jagten in assoziativen Rösselsprüngen durch die Themen. HeMan sorgte immer mal dafür, daß wir uns neben unseren Gedankenspielen auch noch vorwärts bewegten und von der Umwelt etwas mitbekamen. Ansonsten: Stöckchen, Hölzchen, Knöpfchen. Auswirkungen englischer Sprachstruktur auf die englischen Umgangsformen. Die Unterschiede in den industriellen Revolutionen in England und Deutschland. Die Moderne der 20er und die Architelktur der 50er. Wie kriegt man raus, wieviel Zigaretten ein ganzes Land konsumiert? Warum funktioniert Tropical Ilands nicht? Der Klugscheißmodus lief mit Blinken und Sirene.
Und ein bißchen war ich neidisch. Nee, anders formuliert, ich ärgerte mich über meine Faulheit. Daß ich mit ähnlichen Begabungen ins Leben gegangen bin. Daß ich ebenfalls mit Hochtempo lese, mit Leuchturmworten auch nach Jahren ganze Artikel, Faktengruppen und Zusammenhänge wieder aus dem Kopf holen und diese wiederum mit den absurdesten anderen Sachen in Zusammenhang bringen kann. Und was ich daraus gemacht habe. Meine Fremdsprachen sind vergessen. Ich arbeite zwar generalistisch, aber delegiere nichts mehr, was mir dringend not täte. Ich habe mich in einer Branche festgesetzt und dort meine maximalen Aufstiegschancen ausgereizt.
Der englische Besuch hingegen berät weltweit Unternehmen. Spricht Deutsch, Mandarin und scheinbar auch Japanisch.
Herrgott, an irgendeiner Stelle im Leben habe ich den falschen Abzweig genommen...

14
Sep
2007

Das Wochende

wird mit englischem Besuch verbracht und den Schluß der Wohnungsgeschichte gibts am Monatag.

13
Sep
2007

Nachgelegt

Fundiert und mit Quellen zum Thema: die Nachtschwester.

12
Sep
2007

Apfelkuchen, Still-BH und Mutterehre

Nun komme ich ziemlich spät in diese Eva H.-Diskussion.
Aber ein paar Sätze kann ich mir dazu nicht verkneifen:
  1. Wenn diese Frau glaubt, daß Mutterschaft und Familienleben früher (vor den 68ern) besser waren, sollte sie mit Lesen biederster Hausfrauenblättchen von den 20ern bis zu den 60ern bestraft werden. Themen wie "Wie kriege ich meinen Mann dazu, mir einen Halbtagsjob zu erlauben? Wie stelle ich es an, über die Erhöhung des Haushaltsgeldes zu sprechen, ohne daß er mich anschreit? Ich will den Führerschein machen - er ist dagegen!" sprechen, was die Machtverteilung in Ehe und Familie angeht, für sich.
  2. Nun ist die ganze Apfelkuchenlitanei und das Stillen, bis ein Kind die dritten Zähne hat keine genuine Erfindung von Frau H. sondern ein relativ deutsches Phänomen. Nirgendwo sonst gehen Frauen so endgültig aus dem Beruf, wenn sie Kinder bekommen. Und es ist ihnen nicht einmal unlieb, sonst hätten sie schon Jahrzehnte vorher politischen Einfluß ausgeübt, um bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu bekommen. Das ist nämlich nicht unmöglich, die AKWs sollen dank politischer Interessen auch demnächst abgeschaltet werden. Eine schlecht ausgebildete, nicht berufstätige Frau mit Kindern ist im Scheidungsfall abgesichert, auch wenn sie keine großen Sprünge machen kann. Nicht umsonst werden die meisten Scheidungen durch Frauen eingereicht. Neu ist, daß diese Frauen mit Frau H. eine öffentliche Stimme haben.
  3. Diese ganze "bei den Nazis war nicht alles schlecht"-Nummer war ganz dumm. So dumm wie "bei Hitler hatten sie alle Arbeit" oder "in der DDR gab es Zusammenhalt und menschliche Wärme". Ja, gab es und ja, hatten sie. Was diese autoritären, menschenverachtenden Systeme nicht rehabilitiert.
  4. Gedankensprung: Die einzige Partei, die in den letzten 20 Jahren tatsächlich in der Lage war, verkrustete Strukturen aufzusprengen, waren die Grünen. Sie standen zwar für eine Innovation der Genderpolitik, nicht aber der Familienpolitik. Das Frauenlager zerfiel in Gebärverweigerinnen und Berufsmütter. Keine der Politikerinnen hat tatsächlich und erfolgreich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gekämpft. Die erste greifbare Veränderung geht jetzt von den Konservativen aus. Das finde ich schon phänomenal.
  5. Ich wünsche mir, daß Kinder in der Gesellschaft wieder als das angesehen werden, was sie sind: diejenigen, die von uns bleiben, unsere Zukunft. Nicht Störfaktoren, finanzielle Belastung und berufsbiografisches Aus. Kinderhasser hassen sich selbst, denn sie waren selbst einmal Kind und sind mehr als nur ertragen worden.
  6. Wer diese Kinder nun aufzieht, ob Mutter, Vater oder die aus Eltern, Großeltern und Betreuern bestehende Großfamilie ist schnurzpiepe und berechtigt daher auch nicht zum Anspruch eines Verdienstkreuzes, Frau H. Denn das ist nicht als Ideologie, böse Ideologie, wie mir scheint.
Und gleich vorweg: Jeder nationalistische Kommentar wird von mir kommentarlos gelöscht.

Keine Ahnung

was momentan mit mit los ist. PMS (erwischt mich ja auch immer mal) fühlt sich nicht so an.
Das Wetter? Ist eigentlich ganz ok. Die Arbeit auch. Es gibt ein paar Sachen, auf die ich mich freue. Das neue Auto kommt nächste Woche, mein erster Sechszylinder. Die Hauptsaison ist vorbei und der Streß läßt nach. Ich denke sogar schon über Urlaub nach.
Ich mache mir wieder Gedanken über kreative Projekte.
Und trotzdem fühle ich mich bleiern, todmüde und spannungslos. Möchte am liebsten niemand sehen und nicht vor die Tür.
Zurück in Mamas Bauch oder so. Endlose Sehnsucht danach, daß mich jemand badet, massiert, füttert und schlafen legt. Aber nicht mal die Energie, 50 Meter weiter zum Masseur zu laufen.
Völlig retardiert.

UÄRGS!

Da habe ich grade eben in einem akuten Süß-Anfall nach dem Nutella-Glas gegriffen, das immer fürs Kind und HeMan bereit steht. Das passiert mir so einmal im Jahr, wenn ich zu faul bin, vor die Tür zu gehen und Schokolade zu holen, sonst mach ich mir nichts draus.
Ich beiß in das Schnittchen und spucke das Zeug gleich wieder aus: widerlicher Geschmack nach muffigem Fett. Ein Blick auf das Etikett verrät mir: drei Monate über Haltbarkeit.
Und HeMan hat heute morgen noch davon gegessen, ohne mit der Wimper zu zucken!
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The Diary of Kitty Koma

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Deshalb. Letzter Abschnitt.
Deshalb. Letzter Abschnitt.
kittykoma - 7. Nov, 23:29
Warum?
cabman - 7. Nov, 21:33
Es ist vollbracht
Kitty und ihr Tagebuch sind wieder an die alte Adresse...
Kitty (importiert durch kittykoma) - 18. Okt, 16:03
wieder einmal bestätigt...
wieder einmal bestätigt sich, dass sport eben doch...
Huehnerschreck - 6. Apr, 10:21
Einmal im Jahr
muß sein. 2007: angebrochene Rippe im Wanderurlaub. 2008:...
kittykoma - 4. Apr, 20:44
Ich will auch einen Staubsauger...
Ich will auch einen Staubsauger mit dem die Hausarbeit...
Steffi (Gast) - 8. Mai, 06:45
Saure Eier
Bei uns gehen Saure Eier etwas anders. Mit Butter in...
Schwaka (Gast) - 17. Feb, 14:20
another feuchtgebiet...
spätpubertäre literaturwunderkinder - siehe...
kittykoma - 6. Feb, 13:43

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